„Das Gedicht kann Menschen aus Fleisch und Blut zusammenführen und gemeinsam beschäftigen“ – ein Kommentar von Timo Danzer, Jg. 13.
Das Gedicht kann alles. Sie haben richtig gehört, laut des deutschen Schriftstellers, Zeichners und Malers Robert Gernhardt kann das Gedicht alles. Die Lyrik ist ein Alleskönner. Es kann sie aufheitern, bedrücken, zum Nachdenken anregen, inspirieren, zum Lachen bringen, wütend machen, nostalgisch werden lassen und auf Probleme aufmerksam machen. Doch das Wichtigste ist, das Gedicht kann auch als Gesellungsmedium dienen. Es scheint als läge der im Jahr 2006 verstorbene Robert Gernhardt richtig.
In seinem Werk „Was das Gedicht alles kann: Alles“ macht Gernhardt immer wieder deutlich, wie sehr er die suggestive Wirkung der Lyrik schätze. Hier führt er seine Zuhörer in einen „Clubraum“, welcher das Dichten als Gesellungsmedium enthält. Das Poeten-Duo Schiller und Goethe wurde hierdurch zusammen geführt und arbeitete zusammen. Auch wuchs ein Teil von Gernhardts „Animalerotica“ aus dieser kollektiven Dichterleistung zusammen. Hiermit wird deutlich, wie stark die inspirierende Kraft des Gesellungsmediums ist. Manchmal hält doppelt eben doch besser. Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele, Rubiner, Eisenlohr und Hahn, die die Kriminal-Sonette kreierten, das Dada-Trio Hugo Ball, Klabund und Maria Kirndörfer und viele verschiedene Anlässe, die sogar die „Renshi-Kettendichter“ zusammenführten. Laut Gernhardt ist es jedoch hierbei schwer auseinander zu halten, wie stark der Einfluss der Protagonisten im Einzelnen ist.
Doch reicht diese Tatsache aus, dass Dichten als Gesellungsmedium bezeichnet werden kann? Könnte es auch Leute aus Schweiß und Blut zusammenführen, die keine Dichter sind?
Nun zunächst ist es gängig, dass sich in spezifischen Sparten Leute zusammenfinden um gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Wissenschaftler, Sportler oder auch Politiker. Doch in der Lyrik ist dies von besonderer Wichtigkeit und wird oft keine Bedeutung geschenkt. Entgegen der Neuen Subjektivität, die Anfang der 70er Jahre an Bedeutung gewann, legt das Gesellungsmedium den Fokus aufs „Du“ und nicht aufs „Ich“. Es ist keine Ichbezogenheit vorhanden, sondern es wird die Gesellschaft in den Vordergrund gerückt. Aufgrund dieser Tatsache berührt das Gedicht und kann ein Kollektiv fördern, ohne dies prinzipiell als Ziel zu haben – denn jeder ist frei was er in ein Gedicht hineininterpretiert. Es ist nicht nur ein Gesellungsmedium im Dichterkreis, sondern auch in der Gesellschaft. Damit wird deutlich, dass es Menschen zusammenführen kann.
In dem heutigen politischen Diskurs könnte mit Sicherheit ein Gedicht für ein Kollektivgefühl verhelfen um die Angst vor dem Unbekannten zu mindern, wenn auch Kritiker das Interesse der Öffentlichkeit an Gedichten als Totschlagargument heranziehen könnten um das Gegenteil zu beweisen. Doch eine kleine Verbesserung ist besser als gar keine. Hierbei kann auch die Flüchtlingsdebatte thematisiert werden oder die ständigen Konflikte im Nahen Osten.
Das Gedicht kann Menschen aus Fleisch und Blut zusammenführen und gemeinsam beschäftigen – Dichten als Gesellungsmedium
Genau dies kann es, ohne Zweifel. Die Frage ist, inwiefern die Menschen bereit sind, dieser Chance nachzugehen und sie zu erkennen. Diese Barrieren gibt es seit der Menschheitsgeschichte und sind im Kern bei vielen vorhanden, nämlich die Angst vor dem Unbekannten, regionale Änderungen und/oder der eigenen Identität. [nbsp] Gernhardt berichtet in seiner Poetik häufig über die Barrieren die von der DDR/BRD ausgingen und belächelt diese in humoristischer Art und Weise mithilfe der Lyrik. Er war dementsprechend ein Gegner der neuen Subjektivität und lehnte sie vehement ab.
Obwohl die angesprochene Lyrik dies nicht als Intention inne hatte, sondern nur auf den Kern anzielte, verdeutlicht dies die allgegenwärtige und zeitlose Bedeutung politischer Probleme, die eine ethnische Trennungen zur Folge hat und folglich auch ein ethisches Problem wird. Wenn sich im Sinne des Gesellungsmediums zwei Lyriker unterschiedlicher Herkunft zusammenfinden und ein Gedicht[nbsp] entwerfen, welches diese Probleme auf unterschiedlichster Art- und Weise zunichte machen, könnte auch die Gesellschaft profitieren und nicht nur die Dichter. Ein Zeichen wäre gesetzt, nämlich, dass die Herkunft eine viel geringere Rolle spielt als so mancher annimmt.
Es ist ein interessantes und zugleich zeitloses Thema, welches zum Nachdenken anregt. Vielleicht ist gerade heutzutage in Deutschland das Dichten als Gesellungsmedium wichtiger als je zuvor. Denkt drüber nach!
Timo Danzer, Jg. 13
“Haus der Poesie” von Alicia Brahmer, Jg. 13