Diederich Heßlings schulische Sozialisation. Die 12f im Hamburger Schulmuseum.

Wie fühlten sich Schüler im Kaiserreich? Oder besser gefragt: wie müssen wir uns die Schulzeit von Diederich Heßling, Protagonist und Titelfigur des Figuren- und Zeitromans „Der Untertan“ von Heinrich Mann, vorstellen?

Das wollten wir, die 12f, am 22. September im Rahmen eines Rollenspiels im Schulmuseum am eigenen Leibe erfahren. Leider musste dieses Rollenspiel jedoch abgesagt werden, da die Museumspädagogin, die uns in kaiserlicher Manier anschreien und rumkommandieren wollte, leider erkrankt ist (vielleicht eine Kehlkopfentzündung? Man weiß es nicht! 😉
Deshalb haben wir eine alternative Vorbereitung auf dem Heiligengeistfeld, unweit des Schulmuseums, vorgenommen. Wir wurden von Frau Völz in Gruppen eingeteilt, in denen wir uns mit den zentralen Aspekten einer autoritären Schulordnung des späten 19. Jahrhunderts auseinandersetzten. Hierbei fragten wir uns: Lassen sich die Verhaltensweisen des erwachsenen Diederich Heßling auf dessen schulische Sozialisation zurückführen? Die anhängende Ergebnissicherung gibt Aufschluss darüber. Im Anschluss sind wir in die Seilerstraße zum Schulmuseum gelaufen und haben uns in einem originalgetreuen Klassenraum aus der Zeit Wilhelm II. mit einer Angestellten des Museums getroffen, die eigentlich die Ausstellung „Schule im Nationalsozialismus“ betreut. Diese hat uns spontan eine interessante Einführung gegeben.

Im Klassenraum gibt es sieben Sitzreihen mit jeweils vier Plätzen (in echt standen zwei solcher Sitzblöcke im Klassenzimmer, sodass damals bis zu 56 Schüler Platz in einem Klassenraum fanden, der überhaupt nicht oder nur unwesentlich größer war als ein Klassenraum an unserer Oberstufe). Vorne ist das Lehrerpult, das durch ein Podest erhöht wurde. Über dem Pult hängt ein Porträt von Kaiser Wilhelm II. Und drunter (obwohl er in Wirklichkeit wohl eher darüber hing) der Bibelvers Rom 13.1: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Diese typische Installation (die in der NS-Zeit durch ein Porträt Hitlers und eine Lehrtafel zur sogenannten „Rassenlehre“ ersetzt wurde) symbolisiert, dass der Lehrer im Namen des Kaisers oder auch Gottes spricht – Widerworte nicht erwünscht!
Hier haben wir eine „Übung“ gemacht, die uns zeigen sollte, wie sich Schüler im Kaiserreich gefühlt haben. In diesem Sinne folgten wir der harschen Anweisung der Museumspädagogin, die uns mit „Auf!“ und „Nieder!“ zwang gleichmäßig aufzustehen und uns zu setzen. Nach einigen Wiederholungen gab es zwar keinen Befehl mehr, jedoch stellten wir uns – in vorauseilendem Gehorsam – erneut hin. Wir hörten kaum noch zu, sondern befolgten die Befehle.

Als hätten sie den Stock verschluckt, mit dem sie einst geprügelt. (Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen)

Weiter erfuhren wir, dass ein Mittel der damaligen Bestrafungspraxis an durch den Lehrer organisiertes Mobbing erinnert. Dabei wurde der zu bestrafende Schüler in eine Ecke gestellt und von der gesamten Klasse (einschließlich des Lehrers und auf Befehl von diesem) mehrfach als „Esel“ beschimpft. Man kann erahnen wie sich der arme jüdische Junge gefühlt haben müsste, der von Diederich drangsaliert wurde, während die antisemitischen Lehrer dies (zustimmend) geschehen ließen.

Im Anschluss an diese Einführung haben wir uns selbstständig im Museum umgesehen und – mit Bezug auf die Vorbereitung – Belege dafür gesucht, was wir als charakteristische Erziehungsleitsätze ausgemacht hatten (siehe Tabelle im Anhang). Abschließend haben wir uns über das Gesehene und Erlebte ausgetauscht.

Nele Popp und Gerrit Kock